Buchbesprechung
Heinz Häfner
"Ein König wird beseitigt"
Gebundene Ausgabe mit 544 Seiten
Verlag: C. H. Beck, München 2008
ISBN-10: 3406568882
Preis: € 38,95
Besprechung
als PDF-Dokument
Im Frühjahr 2004 wird ein in Mannheim lebender Psychiater gebeten,
anlässlich der Jahresfeier der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
eine Festrede zu halten. Man einigt sich auf das Thema "König
Ludwig II. von Bayern" und so findet Heinz Häfner einen
ersten wissenschaftlichen Kontakt zu dem gemeinhin als "Märchenkönig"
verklärten Menschen.
Es war sein erster Kontakt mit dem Thema und dem Monarchen, und so
arbeitete sich Heinz Häfner in die Symptome, in die Leiden Ludwigs
ein. Häfner gelangte zu einer neuen Beurteilung der problematischen
und belasteten Biografie und diagnostizierte ein zunehmendes Suchtverhalten.
Unter Berücksichtigung und Würdigung von Ludwigs Fähigkeiten
und Leistungen, die nur zu oft ignoriert werden, fand Häfner
alle Merkmale einer "nicht substanzgebundenen Sucht" - Ludwig
war "bausüchtig".
Sehr kritisch geht Häfner auch mit seiner eigenen Zunft um: die
Psychiatrie hatte sich 1886 als "brauchbares Hilfsmittel zur
Absetzung von Herrschern erwiesen, obgleich ihr Instrumentarium ziemlich
fragwürdig war".
Der 1926 in München geborene Heinz Häfner studierte Medizin,
Psychologie und Philosophie und absolvierte dann eine ärztliche
Ausbildung in Tübingen, München und London. 1958 kam er
nach Heidelberg und wurde dort einige Jahre später Mitglied der
Heidelberger Medizinischen Fakultät. 1967 erhielt er den Lehrstuhl
für Psychiatrie an der Fakultät für Klinische Medizin
Mannheim der Universität Heidelberg.
Häfner
war einer der Gründer und später langjähriger Direktor
des "Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI)";
schon sehr früh beschäftigte er sich mit der Psychiatrie-Reform
in Deutschland und mit dem Umgang der Gesellschaft mit ihren psychisch
Kranken. Heute leitet er die Arbeitsgruppe Schizophrenieforschung
am ZI und veröffentlichte seine Erkenntnisse im Jahr 2000 mit
dem Buch "Das Rätsel der Schizophrenie - Eine Krankheit
wird entschlüsselt".
Für sein Lebenswerk wurde er im November 2008 auf dem Kongress
der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin mit dem angesehenen Hermann-Simon-Preis
ausgezeichnet. Hermann Simon (1867-1947) gilt als Vater der systematischen
Arbeitstherapie für psychisch Kranke und revidierte entscheidend
die Auffassung seiner Zeit vom "sozial unbrauchbaren Kranken".
Mit dem nach ihm benannten Preis werden seit 35 Jahren Persönlichkeiten
ausgezeichnet, die von einem ärztlichen und wissenschaftlichen
Geist im Sinne Simons geprägt sind.
Im Rahmen des DGPPN-Kongresses gab mir Prof. Dr. Häfner die Gelegenheit,
mich mit ihm ausführlich über sein neues Buch und den Reaktionen
in der Presse auszutauschen.
Das Titelbild seines Buches stammt aus einer Serie der Fotos nach
einer Schweiz-Reise, die Ludwig (inkognito) mit dem jungen Schauspieler
Josef Kainz unternommen hatte. Auch wenn die Beziehung damals unter
keinem guten Stern stand, war Kainz doch eine wichtige Bezugsperson
für Ludwig. Die beiden ließen eine kleine Fotoserie anfertigen,
bei der schon damals ein Bild retuschiert wurde: Kainz legte seine
Hand auf Ludwigs Schulter - der komplette Arm wurde wegretuschiert.
So stellt das Bild, auf dem Kainz jetzt ganz entfernt wurde, sicher
auch symbolhaft den Zustand Ludwigs dar: als Sinnbild für das
Fehlende, für fehlende Zuneigung, Liebe und Verständnis
- und auch für den Eingriff anderer.
Wie sich im Gespräch herausstellte, wurde Häfner in seiner
wissenschaftlichen Laufbahn schon mit manchen Unwägbarkeiten
und Hindernissen konfrontiert. Sein oberster Leitgedanke ist dabei
immer der Grundsatz von der Freiheit der Wissenschaft. So stößt
es ihm schon früh auf, dass "die historische Wahrheitsfindung
(
) nicht gerade uneingeschränkt gefördert"
wurde in diesem Projekt.
Erbe der Archive ist unter anderem das Geheime Hausarchiv, eingegliedert
als Abteilung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Obwohl dessen Nutzung
im Bayerischen Archivgesetz geregelt ist, versuchte man auf die
Arbeit und das Ergebnis Häfners Einfluss zu nehmen. Häfner
spricht von "Hindernissen des Zutritts zu den Geheimen Hausarchiven
ehemaliger Herrscherfamilien". Offenbar kann auch heute, im
nachfeudalistischen Zeitalter, immer noch nach Gutsherrenart entschieden
werden.
Im Gegensatz zu anderen, die sich mit Ludwig II. beschäftigen,
muss Häfner auf keine Eitelkeiten Rücksicht nehmen. So
kann er viele Fakten unvoreingenommen einordnen und bewerten, ohne
gleichzeitig unter dem Druck zu stehen, Sensationen oder Gefälligkeiten
liefern zu müssen.
Andere Autoren blenden wichtige Charakterzüge aus oder umschreiben
sie nur verschämt; speziell die Gefühle Ludwigs werden
oftmals gar nicht erwähnt oder nur stark verzerrt dargestellt.
So verwundert es auch nicht, dass sich einige Kritiker besonders
auf die von Häfner als "vierte Entwicklungslinie"
herausgearbeitete "Homoerotische Passion" stürzten
und hier genüsslich über den "Missbrauch von Reitersoldaten"
berichteten.
Der objektive Leser erkennt aber schnell, dass Häfner Ludwig
eben nicht nur auf das Sexuelle reduziert, sondern vielmehr die
Einschränkung der Freiheit und der Gefühle betrachtet,
die sich aus dieser emotionalen Unterdrückung ergeben. Homosexualität
muss hier nicht gleichbedeutend mit "gleichgeschlechtlichem
Sex praktizieren" verbunden werden; die Zuneigung, die tief
empfundenen Gefühle zu Männern und der gleichzeitige Druck,
diese nicht zeigen oder gar leben zu dürfen, erklären
hingegen viele Verhaltensweisen Ludwigs.
So haben andere Könige, um auf der gleichen sozialen Ebene
zu bleiben, in dem ständigen Bemühen, ihre Neigung zu
verstecken, versucht, diese Ängste anders zu kompensieren;
Häfner führt hier einige historische Beispiele an.
Sein Buch erinnert an eine Kriminalgeschichte mit akademischem Charakter.
Bei der Tat geht es nicht um das "Ende" des Königs,
sondern um dessen Entmachtungsverfahren. Die daran beteiligten Personen
werden detailliert, auch mit ihren Motiven dargestellt. Im Gegensatz
zu vielen anderen Autoren ordnet Häfner die Person Ludwigs
nicht nur in einen festgelegten historischen Kontext ein, sondern
leitet diesen aus einer psychiatrischen Sicht neu ab.
Obwohl Häfner es vermeidet, allzu wissenschaftlich zu schreiben
und kaum Fachbegriffe verwendet, ist die solide und quellengestützte
Forschungsarbeit streckenweise nicht ganz leicht zu lesen, wenn
man sich bisher noch nicht mit Psychologie beschäftigt hat.
Mit der für ihn typischen Akribie schildert Häfner in
13 Kapiteln die Persönlichkeitsbildung Ludwigs und geht dann
auf die bereits in seiner Festrede festgestellte Bausucht ein. Er
geht der Frage nach, welche Mittel zur "Beseitigung unerwünschter
Herrscher" zur Verfügung standen. Nachdem er ausführlich
auf das Verfahren der Entmachtung selbst eingeht, veranschaulicht
er den Zustand der Psychiatrie zu Ludwigs Lebzeiten. Sowohl der
Psychiater Gudden als auch dessen entscheidendes Gutachten werden
untersucht. Auch eine mögliche erbliche Belastung in der Familie
des Königs wird in Betracht gezogen. Die Entmachtung des Königs
und die anschließende psychiatrische Internierung bilden mit
der Analyse der Schädel- und Hirnsektion den Abschluss.
Dieses Werk offenbart angenehm unaufgeregt, dass nicht die Todesursache
selbst entscheidend ist, sondern der gesamte Verlauf der Absetzung
und die Wahl der Mittel, mit denen Ludwig "beseitigt"
wurde. Wohl zum ersten Mal wird das Zusammenspiel der Familie (die
Wittelsbacher im 19. Jahrhundert), der Politik (der bayerische Landtag
allgemein und die Regierung um den bayerischen Ministerpräsidenten
Johann von Lutz im Besonderen) und schließlich der Medizin
(in Person des Psychiaters Bernhard von Gudden und seinen beteiligten
Kollegen) schlüssig geschildert, welches zur Beseitigung des
Königs führte. Jeder der Beteiligten hatte ein Interesse
daran, einen "schwulen König" loszuwerden. Bis heute
scheint es der Familie nicht sonderlich zu gefallen, mit diesen
Fakten konfrontiert zu werden.
Man kann nur hoffen, dass Häfner dieses Thema weiter verfolgt
und den Versuchen widersteht, ihn zu beeinflussen. Häfners
Erfahrungen bei der Recherche sollte man jedenfalls zum Anlass nehmen,
erneut eine Freigabe der Wittelsbacher Akten zu fordern. Diese sind
Teil einer gemeinsamen Geschichte und sollten für jeden zugänglich
sein.
Durch die gewissenhafte Arbeit von Häfner hat die Ludwig-Forschung
"verlässliche Beiträge zur Aufklärung des Verfahrens"
an die Hand bekommen, die eine "objektive Beurteilung der Leistungen
König Ludwig II. von Bayern (
) in der neuzeitlichen deutschen
Geschichte" ermöglichen. Hier wird das Leben Ludwigs von
einem Insider beschrieben, der historische Fakten aus neuer Perspektive
beleuchtet. Damit hat Häfner ein neues Standard-Werk vorgelegt,
welches von jedem, der sich ernsthaft mit dem Leben Ludwigs beschäftigt,
unbedingt hinzugezogen werden sollte.
Wer also genug hat von den vielen pseudohistorischen Räuberpistolen,
in denen das Leben des "Kini" bis zur Verkitschung verklärt
wird, der findet hier ein Buch, das sich dem Menschen Ludwig von
Wittelsbach mit all seinen Widersprüchlichkeiten widmet.
Berlin, 29.03.2009
ludwig-zwo@michaelfuchs.de
|